Warum die Erneuerbaren die Kernenergie nicht ersetzen können

    Als Physiker bin ich es gewohnt, zu rechnen. Doch die Rechnung mit der Solarenergie im grossen Stil geht in der Schweiz nicht auf. Ohne Nuklearenergie geht es nicht. 

    (Bild: pixabay) Windturbinen und Solarzellen kann man nicht steuern.

    Die Energiestrategie 2050 hat zum Ziel, die Kernenergie allmählich durch erneuerbare Energien zu ersetzen, insbesondere durch die «neuen» erneuerbaren wie Wind, Photovoltaik, Biomasse und Erdwärme. Das hat das Stimmvolk am 21. Mai 2017 so beschlossen. Fünf Jahre später kann man eine erste Bilanz ziehen. Sie sieht nicht gut aus. Zwar ist ein erstes Kernkraftwerk abgestellt und auf den Dächern tauchen immer häufiger Solarzellen auf. Sogar einige Windräder drehen (manchmal). Trotzdem warnte Bundesrat Guy Parmelin als politischer Chef des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung die Unternehmer: «Macht euch auf knappen Strom gefasst!» Damals plante er Gaskraftwerke und Notreserven bei der Wasserkraft. Jetzt stellt sich heraus, dass die Gaskraftwerke mangels Gas wohl mit Öl betrieben werden müssen.

    (Grafik: zVg)

    Was schief gelaufen ist
    Was ist da schiefgelaufen? Die Grundannahme, die «Erneuerbaren» könnten die Kernenergie ersetzen, war von Anfang an falsch. Das geht nicht. Warum?

    Die heute betriebenen Kernkraftwerke laufen am besten, wenn sie ständig mit Volllast laufen. Wasserkraft aus Stauseen kann die Schwankungen des Bedarfs ausgleichen. Diese Kombination ist ein ideales Stromversorgungssystem, das erst noch besonders klimafreundlich ist. Die schweren Generatoren, die mit 3000 Umdrehungen pro Minute drehen, stabilisieren das Netz: Wenn ein Verbraucher zugeschaltet wird, drehen sie eine Spur langsamer. Das bewirkt, dass mehr Wasser oder Dampf auf eine Turbine geführt wird, damit die Wechselstromfrequenz von 50 Hertz exakt eingehalten wird. So steuern die Stromkunden die Kraftwerke.

    Windturbinen und Solarzellen kann man nicht steuern. Sie liefern Strom je nach Wetter und Tageszeit. Fachleute sprechen von stochastischem Strom. Der Volksmund nennt das «Flatterstrom».

    Die Schweiz ist kein Windland
    Der Wind wird seit Jahrtausenden als Energiequelle genutzt. Eben so lange kennt man seine Unzuverlässigkeit. Die holländischen Müller klagen seit jeher: «Wenn es Wind hat, hat’s kein Korn; und wenn es Korn hat, hat’s keinen Wind». Dabei stehen ihre Windmühlen an der Küste, wo die mittlere Windgeschwindigkeit doppelt so hoch ist wie bei uns. Produziert ein Windrad an der Küste also doppelt so viel Strom wie bei uns? Nein, es sind achtmal soviel, weil die Stromproduktion von Wind mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit skaliert. Das heisst, wenn wir gleich viel Windstrom produzieren wollen wie ein Windrad an der Küste, brauchen wir acht solcher Windräder. Das heisst, statt 1200 Tonnen Beton fast 10’000 Tonnen, statt 260 Tonnen Baustahl über 2000 Tonnen. Das geht ins Geld. Kein Wunder, rentieren Windräder in der Schweiz nur dank Subventionen. Windkraftanlagen sind nichts für die Schweiz! Die Schweiz ist kein Wind-Land!

    Das Problem
    mit der Photovoltaik 

    Das Problem mit der Photovoltaik ist ein anderes: So banal es klingt – die Sonne geht jeden Abend unter, und im Winter sind die Tage nur halb so lang. Selbst am Tag kann die Sonne ausfallen – oft tagelang. Eine Solaranlage produziert im Jahr in unseren Breiten so viel Energie wie sie bei Volllast in 900 bis 1000 Stunden produzieren würde. Das sind gut 10 bis 11 Prozent, denn das Jahr hat 8760 Stunden. Bei Kernkraftwerken kann man um die 90 Prozent erwarten. Das heisst, um die gleiche Energiemenge zu produzieren, braucht man mit Solarzellen neunmal mehr installierte Leistung.

    Angesichts der drohenden Versorgungslücke im Winter fordern die Grünen aller Parteien eine regelrechte Solar-Anbauschlacht.  Was würde sie bringen? Probleme!

    Die notwendigerweise neunfache installierte Leistung wird an einem sonnigen Sommertag tatsächlich erfüllt. Das ist weit mehr, als wir nutzen können. In Deutschland hat dieses Problem immer wieder negative Strompreise zur Folge.

    Dafür hilft die Anbauschlacht möglicherweise im Winter gar nicht. Hochnebellagen sind im Winter nicht selten. Dann spielt es keine Rolle, wie viele Solarpanel herumstehen. Fünfmal null ist immer noch null. 

    (Grafik: zVg)

    Solaranlagen mit chinesischem Kohlestrom
    Dazu kommt etwas, das den wenigsten «Solar-Fans» bewusst ist: Zur Herstellung der Photozellen und zum Bau der Anlagen braucht es Energie. Woher kommt sie? Die meisten Photozellen werden in China fabriziert. Dort überwiegt immer noch Strom aus Kohlekraftwerken. Diese Energie müssen die Photozellen zuerst «zurückzahlen», bevor sie wirklich netto Energie produzieren. Anders gesagt: In den ersten Jahren ernten die Solarenthusiasten chinesischen Kohlestrom. Wie viele Jahre? Nördlich der Alpen sind es je nach Art der Photozellen bis zu 18 Jahre! 

    Dafür sei Photovoltaik die billigste Energiequelle. Viel billiger als Kernenergie. Wirklich? Ich habe Zugang zu den Daten einer vor zwei Jahren gebauten Photovoltaik-Anlage. Aus den Erfahrungen dieser zwei Jahre wissen wir: Vier Quadratmeter Photozellen produzieren im Jahr etwa eine Megawattstunde. Das heisst, um die Produktion unserer Kernkraftwerke – ursprünglich 25 Millionen Megawattstunden – solar zu produzieren, braucht es 100 Millionen Quadratmeter (100 Quadratkilometer). Wir wissen auch, dass ein Quadratmeter 500 Franken gekostet hat. Das heisst, die 100 Quadratkilometer Photozellen kosten 50 Milliarden Franken. Mit diesem Geld kann man heute 10 Kernkraftwerke mit der Leistung von Gösgen bauen. Diese Rechnung basiert auf den Kosten der vier koreanischen Reaktoren, die in Barakah, Abu Dhabi, zurzeit in Betrieb gehen.

    So viel würde der Schweizer Solarpark kosten
    In den letzten fünf Jahren hat sich die politische Grosswetterlage geändert: 2017 sprachen nur Fachleute vom Klimawandel. Heute ist das Problem in aller Munde. Es ist auch der Aufmerksamkeit des Bundesrats nicht entgangen: Im August 2019 hat er «beschlossen», dass die Schweiz bis 2050, also damals in 31 Jahren, netto kein CO2 mehr freisetzen solle. Abgesehen von der Frage, auf welcher Rechtsgrundlage der Bundesrat so etwas beschliessen kann, stellt sich die wichtigere Frage, wie das gehen soll. Elektrizität deckt nur 27 Prozent unseres Energiebedarfs. Die übrigen knapp drei Viertel sind grösstenteils fossile Energiequellen. Sie müssen ersetzt werden. 

    Als Ersatz kommt nur elektrische Energie in Frage, und da gibt es eine gute Nachricht: Elektrische Energie lässt sich im Mittel aller Anwendungen drei Mal so effizient einsetzen wie Brennstoffe. Das heisst, wir benötigen für die Dekarbonisierung nicht die dreifache Menge Strom zusätzlich, es reicht, die heutige Stromproduktion zu verdoppeln. 

    Nach den Erfahrungen der letzten 5 Jahre ist nicht damit zu rechnen, dass das mit «Erneuerbaren» geht. Machen wir trotzdem eine Überschlagsrechnung, was das bedeuten würde. Vom Endenergieverbrauch 2019 von 230 Milliarden Kilowattstunden (230 TWh) waren knapp 60 TWh elektrisch. Bleiben für die Fossilen 170 TWh. Die können wir durch knapp 60 TWh elektrisch ersetzen. Aus der früheren Rechnung wissen wir, dass es dafür 240 Quadratkilometer Solarpanel braucht, die 120 Milliarden kosten. Zusammen mit dem Ersatz der Kernkraftwerke sind das 340 Quadratkilometer zu 170 Milliarden. Den Strom, den es braucht um den Luftverkehr mit synthetischen Treibstoffen zu versehen, käme dann noch dazu.

    Ob ein solcher Solarpark in der Schweiz gebaut und finanziert werden könnte, darf bezweifelt werden, besonders wenn man die Alternative betrachtet: Mit Kernenergie kostet das Ganze nicht 170 Milliarden, sondern 55 Milliarden.

    Die Energiezukunft der Schweiz kann nicht solar sein, und sie darf nicht fossilthermisch sein. Sie wird nuklear sein – oder es gibt keine Energiezukunft. Das Verbot, neue Kernkraftwerke zu bewilligen, muss deshalb schleunigst aus dem Kernenergiegesetz entfernt werden.

    Dr. Simon Aegerter


    Zur Person: Dr. phil. nat. Simon Aegerter ist Physiker und Mitglied des Stiftungsrats im Energie Club Schweiz (www.energieclub.ch).

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