Eigenverantwortung statt Staatseingriffe

    Nachhaltige Finanzen 

    Der Staat macht immer mehr Vorschriften für «grüne» Anlagen. Das ist unnötig und gefährlich. Die Finanzbranche entwickelt sich bereits rasant in eine nachhaltige Zukunft. Die Wirtschaftsfreiheit darf durch Verbote und überbordende Regulierungen nicht noch stärker eingeschränkt werden. 

    (Bild: pixabay) Das Bewusstsein für nachhaltiges Anlegen ist hoch. Die Wirtschaftsfreiheit darf nicht beschnitten werden.

    Das Thema der nachhaltigen Finanzen und des Einflusses des Staates auf unsere Anlageentscheide ist wichtig – und es wird uns in Zukunft noch mehr beschäftigen. Als Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz, aber auch als Jurist und angehender Anwalt, nehme ich zu den zunehmenden Regulierungsversuchen des Staates eine kritische Haltung ein. Es geht aus liberaler Sicht nicht an, dass der Staat Vorschriften macht, wie unser Geld und unser Vorsorgekapital anzulegen sind. Diese umweltpolitischen Instrumentalisierungsversuche sind falsch und gefährlich. Am Ende zahlen wir alle die Zeche dafür. 

    Staat mischt sich immer mehr ein
    Der Trend, dass sich der Staat unter dem Deckmantel der Umweltpolitik immer stärker in Anlageentscheide einmischt, ist allgegenwärtig und lässt sich sowohl in der Schweiz als auch im internationalen Kontext beobachten. Im Juni 2020 hat der Bundesrat einen entsprechenden Bericht vorgelegt («Nachhaltigkeit im Finanzsektor Schweiz. Eine Auslegeordnung und Positionierung mit Fokus auf Umweltaspekte»). Darin spricht er von einem «Marktversagen», um den Staatseingriff zu rechtfertigen. Doch davon kann keine Rede sein. Laut der Sustainable Investment Market Study 2021 der Universität Zürich waren in der Schweiz im Jahr 2020 bereits 1520 Milliarden Franken nachhaltig angelegt. Im Vorjahr waren es noch 1163 Milliarden gewesen. Das entspricht einer fulminanten Zunahme von 31 Prozent – in einem einzigen Jahr. 

    Die Anbieter sind klug und geschäftstüchtig genug, dieses wachsende Bedürfnis der Kundinnen und Kunden zu befriedigen. Die Bemühungen des Bundes erinnern deshalb an die jüngst lancierte Kampagne des Bundesamtes für Energie (BFE), die mit Millionen an Steuergeldern den boomenden Verkauf von Elektroautos ankurbeln will. Dabei wissen die Händler selbst am besten, wie man Autos verkauft. Im ersten Quartal 2022 stieg der Verkauf gegenüber der Vorjahres­periode um über 86 Prozent. 

    Ungeist der Bevormundung
    Denselben (Un-)Geist der Bevormundung finden wir auch im Finanzsektor. Der Bundesrat listet in seinem Bericht ganze 13 Massnahmen auf, von der Einführung eines Taxonomie-Systems nach dem Vorbild der EU über die systematische Offenlegung von Umwelt- und Klimainformationen bis zur regelmässigen Überprüfung der «Klimarisiken» durch die Aufsichtsbehörden. Bei der Taxonomie werden Finanzprodukte in gute «grüne» und böse «braune» eingeteilt. Dies führt zu einem starken Ausbau des Staatseinflusses und der Bürokratie. Selbst der Bundesrat spricht von einem «hohen Aufwand für die Entwicklung, Umsetzung und Überprüfung einer solchen Taxonomie». Auch die vom Bund anvisierten «Offenlegungsvorgaben» sind mit erheblichem administrativem Aufwand und mit Überwachungsmechanismen verbunden.  

    Bei fast allen dieser Massnahmen lehnt sich der Bundesrat eng an die EU an, insbesondere an ihren Aktionsplan für eine umweltfreundliche und saubere Wirtschaft (2018). Die Einführung eines Taxonomie-Systems ist darin die wichtigste Massnahme. Im Juli 2021 hat die EU-Kommission ihre Strategie noch einmal verschärft und einen «europäischen Standard für grüne Anleihen» ins Spiel gebracht. Der Einfluss der Politik auf den Finanzmarkt und die administrative Belastung werden damit erneut massiv ausgeweitet. 

    Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit
    Aus ökonomischer Perspektive schränkt der Staat mit seinen Öko-Regulierungen die Anlagemöglichkeiten künstlich ein – ein Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit mit finanziellen Konsequenzen für private wie institutionelle Anleger. 

    Aus der Warte des freien und mündigen Bürgers ist es stossend, wenn Nachhaltigkeitsvorschriften beispielsweise für Pensionskassen gelten, die wir als Einzahlerinnen und Einzahler nicht auswählen können. Trendsetterin ist auch hier die EU. Brüssel verschärft im Zuge der alles dominierenden Klimapolitik laufend die Vorschriften und Pflichten, insbesondere für Asset Manager und institutionelle Investoren wie Vorsorgeeinrichtungen. Die EU-Verordnung zur Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen, die seit März 2021 in Kraft ist, gilt ausdrücklich auch für Pensionskassen. Die Auswirkungen dieser Entwicklung in der EU dürften «nicht an den Landesgrenzen Halt machen», heisst es dazu in einer Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Der Druck auf die Institutionellen dürfte also auch in der Schweiz zunehmen. 

    Das ist ordnungspolitisch falsch und überdies unnötig. Die zitierte ZHAW-Studie zeigt es deutlich: Während 2019 jeder dritte Schweizer Anlagefranken nachhaltig investiert war, so war dieser Anteil bei den Vorsorgeeinrichtungen fast doppelt so hoch. Gegen 60 Prozent der Anlagevermögen der in die Umfrage einbezogenen Pensionskassen waren nachhaltig angelegt. Dabei repräsentierten die untersuchten Pensionskassen ein Anlagevermögen von 285 Milliarden Franken. Bei den Versicherungen gaben 2020 sogar 86 Prozent der rapportierenden Gesellschaften an, die Environmental-Social-Government-Kriterien (ESG) miteinzubeziehen. 

    Ja zu nachhaltigen Produkten, Nein zu staatlichem Zwang
    Dies zeigt: Das Bewusstsein für nachhaltiges Anlegen ist hoch. Zentral ist aus liberaler Sicht, dass die Wirtschaftsfreiheit nicht unnötig beschnitten und die Anleger, Pensionskassenmitglieder und Versicherungsnehmer in ihren Renditemöglichkeiten nicht eingeschränkt werden. 

    Das sieht auch die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) so. «Einseitige Verbote von rechtlich zulässigen, aber gesellschaftlich unerwünschten Tätigkeiten» würden «weder dem Klima noch der Schweiz» helfen, schreibt sie. Auch hätten die Banken eine «Verpflichtung zur Nichtdiskriminierung ihrer Kunden». Verbote und Restriktionen etwa bei der Kreditvergabe lehnt die SBVg klar ab. Das Bankensystem müsse «in seinen Funktionen insbesondere auch als Kreditgeber ideologisch neutral sein».  

    Der Nachhaltigkeitstrend darf also nicht dazu führen, dass es in seinem Namen zu Einschränkungen der Freiheitsrechte oder gar zu diskriminierenden Handlungen kommt. Der Übergang vom volkserzieherischen Nudging zu expliziten Vorschriften ist dabei fliessend. Daher mein liberaler Appell: Wir müssen wachsam und kritisch bleiben, damit wir uns nicht unversehens in der schönen neuen Welt eines ökologisch verbrämten Bevormundungsstaats wiederfinden, in der wir die Freiheit nur noch durch grüne Gitterstäbe sehen. 

    Damit wir uns nicht falsch verstehen: Aus liberaler Optik ist nichts dagegen einzuwenden, dass die Finanzindustrie nachhaltige Anlageprodukte anbietet und ausbaut. Im Gegenteil: Die Initiative und die Eigenverantwortung der Branche sind sehr zu begrüssen. Wir haben hier einen funktionierenden Markt mit einer grossen Vielfalt an Produkten und einer beeindruckenden Wachstumsdynamik. Hingegen erachte ich es aus den geschilderten Gründen als verfehlt, wenn der Staat sich anmasst, die Anlagemöglichkeiten von natürlichen und juristischen Personen zu beeinflussen. Es gilt den vollen Handlungsspielraum der Anlegerinnen und Anleger, aber auch des Souveräns zu wahren. Internationale Verträge wie das Pariser Klimaabkommen schaffen durch Soft Law am parlamentarischen Rechtsetzungsprozess vorbei Realitäten. So verpflichtet Artikel 2.1 (c) des Abkommens dazu, dass «die Finanzmittelflüsse in Einklang gebracht werden mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung». Damit lassen sich alle möglichen Eingriffe begründen. 

    Fazit: Überbordende Regulierungen und Verbote bringen uns nicht weiter. Die Schweizer Finanzbranche ist dynamisch unterwegs in eine nachhaltige Zukunft. Eigenverantwortung und Innovation auf dem freien Markt bleiben auch hier der liberale Königsweg. 

    Matthias Müller


    Zur Person: Matthias Müller ist Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz und Jurist. Der vorliegende Artikel basiert auf einem Referat, das er am 19. Mai 2022 beim Carnot-Cournot-Netzwerk in Bern gehalten hat. 

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