Damit der Mensch nicht auf der Roten Liste landet

    Weltnaturabkommen

    Läutet der Montrealer Pakt das Ende der Naturzerstörung ein? Die Chance besteht, doch dafür müssen die Staaten den Willen aufbringen, um dessen Ziele konsequent umzusetzen. Auch die Schweiz. 

    (Bild: WWF) Herz der Schweizer Natur.

    Die Verhandlungen waren zäh, die Erwartungen nicht allzu gross. Umso erfreulicher ist der Durchbruch für das neue Naturabkommen, welches kurz vor Weihnachten am UN-Gipfel in Montréal verabschiedet wurde. Es ist das bedeutendste Umweltabkommen seit dem Pariser Klimapakt von 2015. Neben der Klimakrise ist das Artensterben die zweite grosse Krise unserer Zeit: Die UN schätzt, dass weltweit 1 Million Arten vom Aussterben bedroht sind. Verantwortlich dafür ist der Mensch: Wir beanspruchen immer mehr Platz zum Leben und um Lebens- und Futtermittel zu produzieren. Dafür zerstören wir Wälder und dringen immer weiter in die Lebensräume von Tieren vor. 

    Ohne Mücken keine Schokolade
    Die Biodiversitätskrise findet zunehmend auch in Wirtschaftskreisen Resonanz. Warum das so ist, illustriert das Beispiel, das der Zoologe Matthias Glaubrecht kürzlich in der NZZ aufgezeigt hat: Weltweit gibt es nur zwei Mückenarten, die Kakaopflanzen bestäuben. Ohne Kakao keine Schokolade. Sterben Mückenarten aus, müssten die Kakaopflanzen dieser Welt in Zukunft von Hand bestäubt werden. Dies würde 500 Milliarden US-Dollar kosten, so eine Schätzung. Das ist nur ein Beispiel dafür, warum wir viel stärker als bisher gegen das Artensterben kämpfen sollten. Wenn wir unsere Natur weiter in diesem Tempo zerstören, gehören wir Menschen bald auch zu den grossen Verlierern. Denn von sauberer Luft über Trinkwasser und Nahrung bis zu einer funktionierenden Wirtschaft: Wir brauchen eine gesunde und vielfältige Natur zum Überleben.

    Doch zurück zum Weltnaturabkommen: Die 23 Ziele, auf die sich die fast 200 Staaten geeinigt haben, bieten eine echte Chance, das massive Artensterben und den Lebensraumverlust zu stoppen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Länder in den nächsten Jahren den politischen Willen aufbringen, um die Ziele auch tatsächlich umzusetzen. Denn was fehlt, ist ein verbindlicher Mechanismus, welcher Regierungen zur Rechenschaft ziehen würde, wenn sie die Ziele nicht erreichen.

    Schutzziel von 30 Prozent
    Einer der wichtigsten Beschlüsse im Montrealer-Abkommen ist Ziel 3: Bis zum Jahr 2030 sollen 30% der Erde, 30% der Süsswasser-Ökosysteme und 30% der Meere unter Schutz gestellt werden.

    Was heisst das für die Schweiz? Es bedeutet, dass auf 30 Prozent der Fläche der Erhalt und die Förderung der Biodiversität Vorrang haben soll. Auf diesen Flächen sind Nutzungen wie die Landwirtschaft weiterhin möglich, solange sich diese mit dem Ziel der Biodiversitätsförderung vereinbaren lassen. 

    Herz der Schweizer Natur
    Neben der Anzahl spielt aber auch die Qualität eine Rolle. Zudem müssen sich die geschützten Flächen da befinden, wo schützenswerte Arten und Lebensräume vorkommen, und die Gebiete müssen untereinander besser vernetzt sein. Definitiv in die falsche Richtung führt der vorschnelle Entscheid des Ständerats: Er will den Schutz der Biotope von nationaler Bedeutung streichen. Das würde bedeuten, dass in den für die Natur allerwertvollsten Gebieten zukünftig Energieanlagen geplant werden können. Diese Moore, Auen und Trockenwiesen machen nur gerade 2 Prozent der Schweizer Landesfläche aus, sind jedoch Heimat für einen Drittel aller bedrohten Tier- und Pflanzenarten. Sie sind das Herz der Schweizer Natur. Hier muss der Nationalrat unbedingt korrigieren.   

    Mindestens so wichtig wie die Klimakrise
    Weitere auch für die Schweiz enorm wichtige Themen im Abkommen sind die Halbierung des Pestizid- und Stickstoffeinsatzes bis 2030, die Umverteilung von Geldern zum Schutz der Biodiversität sowie die Abschaffung von umweltschädlichen Subventionen. Hierzulande liegt die Summe der Subventionen, welche die Biodiversität schädigen, bei etwa 40 Milliarden Franken und ist damit rund vierzigmal höher als die gesamten Ausgaben für die Biodiversitätsförderung. Dies, obschon die Biodiversität in der Schweiz in einem besorgniserregenden Zustand ist: ein Drittel der Arten und die Hälfte der Lebensräume sind hierzulande bedroht. Damit ist die Schweiz beim Artenschutz das Schlusslicht Europas. 

    Die Biodiversitätskrise ist mindestens so wichtig wie die Klimakrise. Es geht um nichts Geringeres als um die Sicherung unserer Lebensgrundlagen. Der Weg dahin ist noch weit. Immerhin bestehen nun klare Ziele, wohin die Reise geht. Doch diese müssen jetzt auch umgesetzt werden.

    Jonas Schmid

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    Zur Person: Jonas Schmid arbeitet beim WWF als Kommunikationsberater. Zuvor war er Journalist, u.a. im Bundeshaus für die «Südostschweiz». Er hat Politikwissenschaften an der Universität Bern studiert. 

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