Brücken bauen zwischen dem Aargau und Argentinien

    Eine Familiengeschichte

    1988 wurde auf einem Schiff in der Ägäis die Idee einer Stiftung geboren. Eduard Felix Jenny, Augenarzt aus Baden, hatte seine neun Kinder und seine einzige Schwester Rosmarie zur Feier seines 40-jährigen Hochzeitstages nach Griechenland eingeladen. Rosmarie und Eduard hatten von ihrer Mutter Elsa Wildermuth de Jenny (1894-1976) den kleinen Rest eines ehemals grossen Besitzes in der Provinz Santa Fe in Argentinien geerbt. Anstatt das Land von Elsa zu verkaufen und den Erlös zu teilen, sollte ein Naturschutzgebiet errichtet werden.

    (Bilder: © Christian Schön / christianschoen.com) Rund um den alten Gutshof mit den Wirtschaftsgebäuden wird versucht, biologisch-dynamische Landwirtschaft zu etablieren.

    Der Vater von Elsa, Don Federico Wildermuth (1848-1895), war aus Stuttgart nach Argentinien ausgewandert. Er lebte in Rosario und gelangte u.a. durch den Import von Weizenmühlen zu Wohlstand. In der Provinz Santa Fe entstand, als Zentrum seiner Ländereien, das Dorf Wildermuth mit einer Bahnstation. Nach dem frühen Tod beider Eltern wurde die zwölfjährige Elsa in die Heimat ihrer Vorfahren geschickt und kam in Stuttgart in ein Mädchenpensionat.

    Der schnell erworbene Reichtum von Don Federico zerrann fast ebenso schnell wieder. Das Haus und ein Bruchteil des ursprünglichen Besitzes verblieben im Besitz von Doña Elsa bis zu ihrem Tod.

    Ihren Mann Eduard Wilhelm Jenny (1892-1945) lernte Elsa anlässlich eines Kuraufenthaltes in Arosa kennen. Die Hochzeitsreise der beiden führte nach Argentinien und dauerte ein halbes Jahr. Elsa wollte ihren Mann für ihre Heimat begeistern. Eduard aber entschloss sich für die Schweiz, in Aarau leitete er eines der ersten Kinderkrankenhäuser der Schweiz mit angeschlossener Schwesternschule. Damit war klar, dass auch Elsa in der Schweiz bleiben würde. An der Seite ihres Mannes lebte sie an der Rohrerstrasse in Aarau, wo sie mit ihm zwei Kinder grosszog, Eduard (1924-2015) und Rosmarie (*1928). Der erfolgreiche Kinderarzt starb sehr früh an einem Herzinfarkt.

    Elsa war Zeit ihres langen Lebens hin- und hergerissen zwischen der alten und neuen Welt. 1949 übersiedelte sie mit ihrer damals 20-jährigen Tochter Rosmarie von Aarau nach Argentinien und kümmerte sich um die Reste ihres Besitzes. Dort verliebte sich Rosmarie in Carlos Maria Mampaey (1927-1975) und lebt als Schweizerin bis heute in Argentinien. Sie umsorgte vorerst zusammen mit ihrem Mann ihre Mutter Elsa, bis diese 1976 starb.

    Nach dem tragischen Unfalltod ihres Mannes 1975 begann Rosmarie mit dem Studium unterschiedlicher Weltanschauungen. Über C.G. Jungs Werk kam sie auf Rudolph Steiner und lebt heute nach den Grundsätzen der Anthroposophie. Mit ihrer Zustiftung von fruchtbarem Ackerland und den Gebäuden des Landgutes, erweiterten sich das Vermögen und die Möglichkeiten der Stiftung.

    Folgerichtig hat sich die Zielsetzung der Familienstiftung der zwölf Enkel von Doña Elsa bzw. der Kinder von Rosmarie und Eduard erweitert: Ursprünglich sollte, wie auf der Ägäis von den neun Kindern von Eduard Jenny angedacht, die Einrichtung eines Reservates für Pflanzen und Tiere alleiniges Ziel der Stiftung sein. Heute kommt zusammen mit Rosmarie und ihren drei Töchtern ergänzend die Ermöglichung von verantwortungsbewusster Nutzung der Erde nach biologisch-dynamischen oder zumindest biologischen Methoden hinzu.

    Im Naturschutzgebiet liegt eine Süsswasserlagune. Hier können je nach Jahreszeit Stand- und Zugvögel beobachtet werden.

    Die Stiftung
    Fundación Federico Wildermuth Das Kapital der Stiftung ist der Landbesitz. Ein von jeglicher Nutzung ausgeschlossenes Naturschutzgebiet von ca. 900 ha wird vor Beweidung, Wilderei und Feuer durch Zäune und Brandschutzstreifen geschützt. Ebenso muss die Inventarisierung von Flora und Fauna finanziert werden. Personal- und Materialkosten werden erwirtschaftet durch biologische Rinderzucht auf ca. 400 ha natürlichem Weideland. Weitere ca. 300 ha sind reserviert für selbsttragende Projekte mit biologisch-dynamischer, mindestens aber organischer Ackerwirtschaft und Gartenbau. Dort sollen im Vergleich zu den agroindustriell genutzten Flächen in der Umgebung mehr Menschen von der Landwirtschaft leben können.

    Das Naturschutzgebiet
    Das Naturschutzgebiet liegt in der Provinz Santa Fe, ca. 100 km südlich der gleichnamigen Provinzhauptstadt Santa Fe. Es liegt damit mitten in der Pampa, einer riesigen, fruchtbaren Ebene, die den einstigen Reichtum Argentiniens und auch Uruguays begründet hat. Die beiden Hauptstädte Buenos Aires und Montevideo zeugen in ihrer morbiden Schönheit noch heute von dieser Blütezeit.

    Die Grassteppe ist durchsetzt von Gehölzen. Meist sind es Leguminosen, im Vordergrund eine Parkinsonia.

    Die Pampa
    Wie die nordamerikanische Prärie oder die ungarische Steppe bestehen die Böden der Pampa in Argentinien und Uruguay aus Löss, das sind letztlich riesige Staubmengen aus zerriebenem Gestein, die innerhalb von ca. einer Million Jahren aus den Anden verfrachtet wurden. In der Schweiz gibt es solche fruchtbaren Lössböden in den Regionen um Basel, Baden und Schaffhausen. Klima, Feuer und Beweidung verhindern in der Pampa eine geschlossene Bewaldung. Daher wurde die Pampa auch schon als riesige, über 500’000 km2 Waldlichtung bezeichnet, eine Waldlichtung, grösser als 10-mal die Schweiz! Ganz ohne Gehölz ist die Lichtung allerdings nicht. Viel- mehr vermitteln einzelne Gehölze und kleine Wäldchen den Eindruck einer Parklandschaft.

    Flora und Fauna
    Die natürlichen Steppenwiesen der Pampa sind, wie unsere Alpenweiden, reich an Pflanzenarten. Je nach Feuchtigkeit und Zusammensetzung des Oberbodens dominieren unterschiedliche Pflanzen das Grasland. Grundsätzlich gilt, dass der Artenreichtum an Pflanzen die Qualität des Weidelandes bestimmt. Die Ausgewogenheit der Nahrung für die Rinder im Jahresverlauf ist damit am besten gesichert. Auf dem Land der Stiftung wurden immer- hin über 130 Pflanzenarten gezählt. Darunter natürlich auch vom Menschen eingebrachte Kulturpflanzen, die zum Teil durch ihr Massenauftreten die Vielfalt bedrohen, wie die aus Südafrika importierte Grasart Chloris gayana.

    Schon vor den Rindern und Pferden gab es grössere und kleinere Säuger, die die fruchtbare Ebene beweideten. Die grössten dürften die ausgestorbenen Riesenfaultiere gewesen sein mit den Dimensionen von Elefanten. Selten geworden ist der Pampahirsch, während sich die Meerschweinchen und Feldhasen an den Wegrändern der beweideten Flächen gut halten konnten. Sie wiederum bilden die Nahrung von kleineren und grösseren Raubtieren bis hin zum Mähnenwolf und zum Puma.

    Mitte des 19. Jh. begannen die Einwanderer aus Europa auf den besten Böden in grossem Stil Ackerbau zu betreiben. Diese Entwicklung wurde durch den Ausbau eines Schienennetzes mit entsprechenden Transportkapazitäten begünstigt. Trotzdem begründet bis heute die Rinderzucht auf natürlichem Weideland den legendären Ruf des argentinischen Fleisches.

    Unterdessen nehmen agroindust­rielle Methoden mit entsprechen­ den Konsequenzen für Umwelt, Menschen und Artenvielfalt drama­tisch zu. Wirtschaftliche Zwänge begünstigen nicht nur gross­ flächige Monokulturen von Soja, Getreide und Sonnenblumen für den Export. Zunehmend werden auch Rinder in Feedlots auf engs­tem Raum mit Kraftfutter gemäs­tet, selbst die Milchproduktion erfolgt durch zusätzliches Silofut­ter in Grossbetrieben.

    Rinderherde auf dem Weideland der Stiftung.

    Insel in einer Wüste von Monokulturen
    Auch in den wohlhabendsten Ländern Mitteleuropas werden landwirtschaftlich nutzbare Flächen selten als Naturschutzge­biete ausgezeichnet. Dafür ist das Bewusstsein um den Wert von Rück­zugsflächen für Pflanzen und Tiere in den letzten Jahren stark gestie­gen. Längst ist in der Schweiz die Bedeutung der Form der Landwirt­schaft für die Artenvielfalt bekannt und trotzdem entzünden sich grosse und kleine Konflikte zwi­schen Vernunft und Profit. Wie das im rund 40-mal grösseren Argentinien aussieht, das in ärgste wirtschaftliche Not geraten ist, kann an dieser Stelle nicht erörtert werden.

    Was sind 16 km2 innerhalb einer riesigen Landwirtschaftszone der Monokulturen von Mais, Soja und Sonnenblumen? Die Artenlisten, insbesondere der Tiere beweisen, dass auch eine vergleichsweise kleine Fläche einen grossen Bei­trag leisten kann, insbesondere wenn sie mit anderen Biotopen über Gewässer und naturbelassene Wegränder vernetzt ist.

    Im Naturschutzgebiet wurden gezählt: Höhere Pflanzen: 121 Arten, Amphibien: 12 Arten, Reptilien: 12 Arten, Säuger: 15 Arten, Vögel: 150 Arten, davon ein beträchtlicher Anteil von Zugvögeln, die in einer Süsswasserlagune rasten und brü­ten.

    Was aber auch ein wichtiger Beitrag der Stiftung sein könnte, ist der Brü­ckenschlag zwischen Europa und Argentinien, um den Transfer in bei­ den Richtungen zu erweitern mit den Inhalten:

    1. Bewusstsein schaffen für gesunde, nachhaltig ent­standene Ernährung beim Produzenten und beim Kon­sumenten. (Was ist der Unter­ schied von Rindfleisch aus der natürlichen Steppe zum Rind­fleisch aus Gebieten mit gero­detem Urwald).
    2. Transfer von Umwelttechnolo­gie unter Berücksichtigung der lokalen Verhältnisse. (Argenti­nien mit seiner riesigen Fläche in mehreren Klimazonen, sei­nen Bodenschätzen und seiner niedrigen Bevölkerungsdichte, könnte Anderes exportieren als industriell erzeugte Soja­ und Weizenernten.)
    3. Prüfung und Einführung von alternativen Bewirtschaftungs­formen, die der extremen Landflucht entgegenwirken in enger Abstimmung mit den Menschen vor Ort. (Im Grossraum Buenos Aires lebt 1/3 der argentinischen Bevölkerung von rund 45 Mio. In den Städ­ten wachsen die Elendsviertel.)

    Matthias Jenny


    Zur Person: Matthias Jenny, Jg. 1952, Botaniker, promoviert in Zürich, habilitiert in Berlin, ehem. Direktor des Frankfurter Palmengartens, Präsident der Stiftung Fundación Federico Wildermuth.

    Fotos von Christian Schön, christianschoen.com

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